Die Kanarischen Inseln locken uns Mitteleuropäer besonders im Winter: Nicht weit vor Afrika im Atlantik gelegen, etwa auf Höhe der Sahara, werden sie in Reiseprospekten oft als Inseln des ewigen Frühlings beworben. Im Süden von Gran Canaria zählt man 350 Sonnentage im Jahr. In Ferienorten wie Maspalomas und Playa del Ingles treffen sich bei 20 Grad Deutsche, Skandinavier und Briten zum Überwintern oder zumindest für zwei Wochen Sonne.
Das Inselinnere erscheint vom Süden Gran Canarias aus gesehen erst einmal abweisend. Dich erwartet eine karge Landschaft aus Geröll und Fels, mit wenig Grün, tief eingeschnittenen Tälern und endlos kurvigen Straßen. Im Ausflugsprogramm für Pauschalurlauber wird die Berglandschaft so gut es geht per Bustour durchquert, etwa zum „schönsten Bergdorf Spaniens“ Tejeda oder zu den Höhlenwohnungen in Artenara. Wer lieber nicht in Gruppe reist, nimmt das Mietauto.
Wie wir schon ein paar Mal. So erkundeten wir das Zentrum bis hinauf um höchsten Berg, dem Pico de los Nieves mit 1950m Höhe, mit dem Blick hinüber zur etwa 60 Kilometer entfernten Nachbarinsel Teneriffa mit ihrem Teide, dem man die erstaunliche Höhe von fast 4000 Metern nur manchmal aus der Ferne ansieht, wenn der Kraterrand noch im Frühsommer schneebedeckt ist.
Die intensivste Begegnung mit Gran Canaria ermöglichte mir allerdings das E-Bike.
Wow-Effekt auf dem E-Bike
Abseits der touristischeren Autorouten ging es bald über Schotter und Fels hinauf und quer durch die spektakuläre Landschaft der Vulkancanyons. Hier spürt man endlich etwas mehr vom Charakter der Insel. Die Wege entlang der schroffen Flanken der kaum bewachsenen Barrancos, die Bergkämme darüber aufgetürmt aus verschiedenfarbigen rein vulkanischen Gesteinsschichten aus relativ junger Zeit – erdgeschichtlich gesehen. Die Berge im Süden gehören dabei zum ältesten Teil der Insel und zum Nationalpark Pilancones. Aber eines nach dem Anderen.
Hier erst einmal ein paar Eindrücke als Video:
Start mit Leih-Hai in Playa del Ingles
E-Bikes kann man sich an vielen Orten der Insel ausleihen – Anbieter Free Motion etwa hat Stationen in Las Palmas, Playa del Ingles, Meloneras – immer zentral in den Touristenzentren. Die Verfügbarkeit war gut, ich musste nicht lange vorher reservieren, und hatte die Wahl zwischen E-Bikes von Cannondale, Haibike oder BH.
Ganz billig ist der Spaß nicht: Ein E-MTB Fully wie das Haibike SDURO AllMtn 7.0 oder das Cannondale Moterra 3 schlagen – Stand Februar 2018 – mit 45 €/Einzeltag zu Buche (Haibike SDURO AllMtn 7.0 Rental Info bei free-motion), mehr als mancher Mietwagen. Die BH-Trekkingbikes der Rebel-Reihe gibt es schon für 25 €/Tag , bei mehrtägiger Ausleihe reduzieren sich die Preise um etwa 10 Prozent. Der Helm kam dazu, das machte nochmal 2 Euro, plus eine Kaution mit 100 Euro. Größe, Gewicht, gewünschte Pedalart wurden abgefragt. Englisch und deutsch sind bei den meisten Verleihteams kein Problem.
Dann erhielt ich noch eine Streckenempfehlung auf Papier – hinauf nach Ayagaures und durch die Barrancos Richtung Fataga. Dazu den Rat, bei Komoot die offenbar recht beliebte Route herunterzuladen.
Von Maspalomas rauf zum Bergdorf Ayagaures
Am nächsten Morgen herrscht reger Betrieb bei Free Motion: Das Hauptgeschäft ist der Verleih von Rennrädern, und jetzt im Februar ist Hochsaison, bevor es im Juni zu heiß zum Radfahren wird (ob das auch auf’s E-Biken zutrifft?). Nach kurzer Wartezeit erhalte ich das Haibike SDURO Fullseven 7.0 mit 27,50 Zoll Bereifung mit 2.8″ Breite. Coole Sache! Den Sattel noch eine Idee tiefer gemacht, ich wollte ja öfter mal anhalten zum Fotografieren und Filmen und dabei sicher stehen. Power On – und schon ging’s los.
Das geliehene E-MTB ist technisch ausgestattet mit dem PW-X Antrieb von Yamaha (250W, 80Nm, 25km/h), mit der Shimano Deore XT M786 Shadow Plus-Schaltung (20-Gang), Fox Gabel mit 120mm Federweg, Fox Dämpfer, den Bremsen Magura MT4, 180mm, sowie mit dem im Vorbau integrierten Haibike-LCD-Display. Als Reifen sind die Schwalbe Nobby Nic Evo SnakeSkin montiert. Das Rad kann man sich bei Haibike (2017er Modell oder auch als 2018er-Modell) ansehen oder auch bei greenfinder.de.
Zuerst geht es über mehrere Kreisverkehre hinweg durch das angrenzende Maspalomas. Der Ausdruck mit der Routenbeschreibung erweist sich durchaus als hilfreich. Dann endlich raus aus dem Ort und unter der Nord-Süd-Autobahn GC-1 hinweg, am Aqualand vorbei, in Richtung Berge.
Der erste Teil der Tour auf der asphaltierten GC-504 nach Ayagaures hinauf erweist sich tatsächlich als beliebte Trainingsstrecke. Am Anfang weist ein Schild der Gemeinde auf die Routencharakteristik hin. Ich nehme etwas später noch einen Cortado Largo in einem Café am Streckenrand zu mir, plus eine kleine Flasche Wasser für den Rucksack.
Die GC-504 zieht sich mit leichter Steigung durch den Barranco de Ayagaures hinauf. Es ist u.a. für sein Dickicht aus Bambusschilf bekannt und berüchtigt. Der Gran Canaria Ultra-Trail Run führt hier oft durch und läßt viele Läufer fluchen. Von der Straße aus wirkt natürlich alles harmlos. Kurz vor dem Ort, am Fuß des Staudamms, sind zum ersten Mal Serpentinen zu nehmen. Ein holländisches Radfahrer-Pärchen steigt zum Schieben ab. Ich schalte von Eco auf High…
Im UNESCO Biosphärenreservat
Am Platz vor der Kirche sind sämtliche Bänke von Radlern besetzt, genauso die Tische vor der Dorfbar. Mit zwei Stauseen ist die Region auch ein Anziehungsmagnet für Angler und Wanderer. Wir sind am Rand des UNESCO Biosphärenreservats Gran Canaria, das die Inselvielfalt nachhaltig entwickeln und schützen soll.
Ich lasse die Ortsbesichtigung aus und radle weiter zur Staumauer der Presa de Ayagaures. Hier wartet der Transporter eines deutschen Profi-Radteams auf seine Fahrer, nebenan grillen Angler den gefangenen Karpfen.
Der Wasserstand im Stausee wirkt besorgniserregend niedrig – bislang war der Winter hier noch zu trocken. Ich überquere die holprige Krone der imposanten Talsperre aus rötlichem Vulkantuff. Weiter oben ist die zweite, modernere Beton-Staumauer der zweiten Presa zu erkennen.
Hier beginnt der Schotter und eine andere Welt…
Die Schotterpiste gilt zwar immer noch unter GC-602 als offizielle Verbindungsstraße. Aber nach wenigen Metern und den ersten zwei Kehren fühle ich mich schon abgeschieden – bin ich hier noch richtig? Nichts ist mehr zu spüren vom Touristentrubel oder von Radteams. Hier wird es staubig und trocken, Grün ist allenfalls weit drunten am Grund des Barranco auszumachen .
Immer noch weiter ansteigend und lang ausholend folgt die Strecke den Flanken der einzelnen Einschnitte, der Barrancos. Ich bin fast erleichtert, wenn ich alle paar Kilometer vereinzelten Mountainbikern und Wanderern begegne. Nach etwa einer Stunde ist eine Art Passhöhe erreicht, von nun an geht es meist leicht abwärts. Der Weg wird nun felsiger, ich frage mich wie hier nicht-Allradgetriebene PKW durchkommen.
Tatsächlich begegnet mir bis auf einen Landrover kein einziges Auto. An Filmen beim Fahren ist in den schroffen Passagen nicht mehr zu denken, ich brauche beide Hände am Lenker. Bei höherem Tempo käme das FullSeven mit seinen 120mm Federweg wahrscheinlich an seine Leistungsgrenze.
Mitten im „versteinerten Gewitter“
Dafür wird jetzt der Kontrast zwischen der Mittagssonne und den kantigen, schwarz-braunen Felsen ringsum noch härter, der schroffe Charakter der Insel wird immer stärker spürbar. Der Schrifsteller Miguel de Unamuno hat diese Bergwelt als „versteinertes Gewitter“ bezeichnet, und so wirkt sie auch: hingeworfene Brocken, aufgetürmte Schichten, willkürlich und abrupt, immer in braun-rot-schwarz. Tatsächlich wie in voller Bewegung eingefroren durch einen Blitz. Es waren ja auch Wellen im weitesten Sinn, die hier erstarrt waren: Ströme aus flüssiger Lava.
Ab und an auch grünlicher Fels und violette Steine, was wohl mit den unterschiedlichsten Temperaturen, Drücken und anderen Bedingungen bei der Eruption und der Erstarrung zu tun hat.
Alle sieben Kanareninseln sind geologisch sehr jung. Sie sind ist das Ergebnis einer Serie von Vulkanausbrüchen beginnend etwa vor 20 Millionen Jahren. Gran Canaria entstand ab etw 14 Millionen Jahre vor unserer Zeit als dritte der Inseln. Die letzten großen Eruptionen ereigneten sich hier vor 4 Millionen Jahren, kleinere sogar noch vor etwa 1000 Jahren. Das relativ junge Gestein direkt aus dem Erdinneren wirkt roh und urtümlich: kaum rundgeschliffen, von fast keinem Bewuchs überdeckt.
Narben im Gesicht Gran Canarias
Das Zentrum der Insel bildet die Calderea de Tejeda, der Krater des eingestürtzten ursprünglichen Schildvulkans (die auch Hawaii prägen) . Der höchste Berg Pico de las Nieves und das Wahrzeichens Gran Canarias, der Roque Nublo, sind Teile davon. Die Barrancos verlaufen quasi als Narben von dieser Inselmitte hinunter an die Küsten, die die Erosion quasi als Wasserzeichen in die Inselgeographie gegraben hat.
Quelle des Vulkanismus ist übrigens eine noch aktive Magmablase im Erdinneren, die alle sieben kanarischen Inseln von Ost nach west wie an einer Perlenkette nebeneinander entstehen ließ. Die jüngste Insel, El Hiero ganz im Westen, ist erst 1 Million Jahre alt. Und vor El Hiero entsteht noch unter Wasser gerade eine weitere neue Insel.
Die Strecke führt in weiten Schleifen an den Flanken der Barrancos entlang, auf Höhe etwa ein Drittel unter den Gipfeln und zwei Drittel über den Talsohlen. Wenn der Weg die Einschnitte kreuzt, gibt es etwas Feuchtigkeit, Agaven, Aloepfflanzen und Opuntien mit ihren Kaktusfeigen.
Die Schluchten von Fataga und Pilancones dominieren den Süden der Insel
Die Felslandschaft wirkt auf den ersten Blick manchmal eintönig, aber bei näherem Hinsehen auch vielfältig und bunt. Nichts ist weich und geschönt, nichts von Erde, Gras, Wiesen oder Wäldern abgemildert. Fast meint man, die ungeheure Kraft einer noch jungen Erde zu spüren, während uns unser „Planet“ doch oft so alt und abgeklärt vorkommt.
Ich empfand die Zeit recht lang werden entlang der Enge der Barrancos und der gleichzeitigen Weite der Vulkanlandschaft, sie schien sich irgendwie zu dehnen, während ich selbst gegenüber der Natur hier kleiner wurde. Eine hyperreale Erfahrung, die so vielleicht ist sie so nur auf dem E-Bike möglich ist: Durch die Bewegung mit einer steten Geschwindigkeit durch die Landschaft, aber ohne dass die Anstrengung die Konzentration und die Sinne zu stark bindet…
Über die Fotos und das Video kann ich leider nur einen schwachen Eindruck vermitteln…
Rückweg in die Zivilisation
Als ich an der Einmündung der GC 602 in die GC 60, die Verbindung von Masplalomas hinauf nach Fataga und weiter ins Zentrum der Insel, wieder in die Zivilisation und den Autoverkehr zurückkehre, ist leider auch der größte Fahrspaß und das schönste Erlebnis vorbei.
Auf dem Rückweg über die GC60 kam ich noch an der Passhöhe „Degollada de los Vegues“ (500 m) vorbei – zu deutsch etwa „Schlachtplatz der Stuten“.
Ich stelle mir die erbarmungswürdigen Eselstuten vor, die sich mit schwer beladenen Karren auf unbefestigten Wegen hier hochquälen mussten. Heute, in einem etwas weniger armen Gran Canaria, treffen sich hier Biker und andere Reisende. Und bestaunen den Kontrast zwischen der voll erschlossenen Urlaubslandschaft mit Dünen, Strand und Meer drunten und den sich deutlich schwerer erschließenden Vulkancanyons hinauf ins Zentrum der Insel.
Nun geht es nur noch abwärts. Um halb fünf bin ich wieder an der Radstation von Free Motion in Playa del Ingles. Wie oft erwies sich das E-Bike auch heute wieder als ideales Fortbewegungsmittel, um eine Landschaft intensiver kennen zu lernen.
Weitere Toureninfo und E-Bikeverleih:
Hier weitere Tourbeschreibungen und Tipps im gleichen Gebiet
Maspalomas / Playa del Ingles / Ayagaures / Barranco de Fataga:
- https://www.gps-tour.info/de/touren/detail.135478.html
- https://www.gps-tour.info/de/touren/detail.3427.html
- Website von Verleiher Free-Motion Gran Canaria
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